2011-01-17

Ein "grüner Euro" gegen einen überbewerteten Franken

In nächster Zeit werden sich die Wege der Zukunft der Landwirtschaft und des Verhältnisses der Schweiz mit der Europäischen Union kreuzen. Einerseits geht es um die Verwirklichung des Freihandelsabkommens im Agrar- und Lebensmittelbereich (FHAL). Andererseits hat die EU unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie an der Fortsetzung des bilateralen Weges nicht mehr interessiert ist. In dieser nicht einfachen Situation kommt nun der Höhenflug des Schweizer Franken im Verhältnis zum Euro erschwerend hinzu.


Trotz dieser schwierigen Lage bleibt die Gruppe für eine offensive Agrarpolitik (GOAP) überzeugt, dass der Abschluss des FHAL, längerfristig betrachtet für die Erhaltung einer produzierenden Landwirtschaft in der Schweiz unumgänglich ist. Dies aus folgenden Gründen:

- Ein nachhaltig nicht wettbewerbsfähiger Sektor ist dem Niedergang geweiht;

- Der grössere Teil der Nahrungsmittel sind landwirtschaftliche Rohstoffe die, bevor sie konsumiert werden können, durch Handwerk oder Industrie verarbeitet und veredelt werden müssen;

- Auf Grund der Kleinheit des Schweizer Marktes ist die Nahrungsmittelindustrie auf den Export angewiesen, um die durch den technischen Fortschritt ermöglichte Skaleneffekte voll ausnützen zu können.

Im Unterschied zur Situation, die vom ersten Weltkrieg bis zum Fall der Berliner Mauer vorherrschte, ist heute keine unmittelbare Bedrohung für die Versorgung unseres Landes auszumachen. Aus Sicht der Wirtschaft und der Politik kann die Selbstversorgung mit allem und um jeden Preis nicht mehr gerechtfertigt werden. Wie im Bereich Sicherheit und Verteidigung ist es sinnvoll, den strategischen Raum für die Ernährungssouveränität von der Schweiz auf den europäischen Raum auszuweiten. In diesem erweiterten Raum ist eine gewisse Arbeitsteilung logisch, d.h. dass sich die verschiedenen Regionen auf Produktionen spezialisieren, wo sie auf Grund natürlicher und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen besonders wettbewerbsfähig sind.

Der Haken daran ist, dass wir sehr wohl dem Freihandel mit unseren Nachbarn das Wort reden können, dass aber dieser Freihandel nicht zu den erwarteten Preisangleichungen und Verbesserungen der Wettbewerbsfähigkeit führt, wenn die Wechselkurse der Währungen diese Resultate laufend wieder zu Nichte machen.

Maurice Allais, Wirtschaftsnobelpreisträger 1988, hat als erster auf die Unvereinbarkeit zwischen dem internationalen Währungssystem und der Globalisierung der Märkte aufmerksam gemacht. 1995 machte er in Stockholm, vor Verantwortlichen der Nahrungsmittelbranche folgende Aussage: „ Die Vorteile des Freihandels kommen nur in Regionen zum Tragen, die über einen gemeinsamen Markt und gemeinsame politische Rahmenbedingungen verfügen“.

Die Ereignisse der letzten Monate geben ihm voll Recht. Von Mitte 2007 bis Ende 2010 hat der Euro gegenüber dem Schweizer Franken 25 % seines Wertes eingebüsst, davon 18 % allein 2010. Was nützt es somit fragt man sich, über Jahre den Abbau des Grenzschutzes auszuhandeln oder durch Rationalisierung die Gestehungskosten zu senken, wenn durch die Unwägbarkeit von Währungsschwankungen innerhalb weniger Wochen all diese Anstrengungen wieder zu Nichte gemacht werden?

Was nun die Beziehungen der Schweiz mit der EU betrifft, macht Brüssel immer unmissverständlicher klar, dass der von Bern verfolgte bilaterale Weg als zu kompliziert und schwerfällig erachtet wird und die Rechtssicherheit auf die Dauer nicht gewährleistet werden könne. Der Bundesrat schätzt das Risiko, diese Frage im Wahljahr ernsthaft zu diskutieren, als zu gross ein. In seinem Bericht über die Evaluation der schweizerischen Europapolitik begnügt er sich mit dem Auflisten der verschiedenen denkbaren Beziehungen zur EU und hält am bilateralen Weg fest. Sollte es einmal nötig sein vom bilateralen Weg abzuweichen, ahnt man zu Recht, dass der 1992 abgelehnte EWR, der die Übernahme von EU – Recht ohne Mitbestimmung bedeutet, wohl kaum mehrheitsfähig sein wird. Mehr Chancen gibt man einer Lösung „EU-Beitritt light“ wo Ausnahmen auszuhandeln wären, wie z.B. die Beibehaltung des Schweizer Franken und verweist dabei auf das Vereinigte Königreich, auf Dänemark oder Schweden. Man kann sich vorstellen, dass Economiesuisse mit einer solchen Lösung leben könnte.

Für die Landwirtschaft, aber ebenso für den Tourismus und weite Teile der Realwirtschaft wäre die Beibehaltung des Schweizer Franken in einem durch den Euro dominierten Freihandelsraum unhaltbar. Diese Sektoren wären gezwungen, laufend die Preisdifferenzen auszugleichen die jede neue Bewertung des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro verursacht. Eine solche von der Finanzwirtschaft aufgedrängte Lösung hätte als Konsequenz den Ausbau ihrer Vormachtstellung in der Politik auf Kosten der übrigen Sektoren. In der Tat würden viele Betriebe der Maschinen-, der Uhren- und der Nahrungsmittelindustrie zur Auslagerung ins Ausland gezwungen, oder sie würden, was die Nahrungsmittelindustrie betrifft, vermehrt auf den aktiven Veredlungsverkehr ausweichen. Wenn multinationale Unternehmen Wechselkurseinflüsse ganz oder teilweise durch Import von Vorleistungen oder durch „Transferpreise“ zwischen ihren Niederlassungen ausgleichen können, trifft dies für die grosse Mehrheit der KMU, die vorab im Inlandmarkt tätig sind, nicht zu. Landwirtschaft und Tourismus sind ihrerseits unabänderlich an den nationalen Raum gebunden. Sie können weder ihre Aktivitäten auslagern noch einen wesentlichen Teil ihrer Produktionsfaktoren oder –mittel in günstigen Devisen importieren. Somit wäre die Angleichung der schweizerischen und europäischen Preise nicht ein für alle Mal möglich, sondern müsste bei jeder Erhöhung des Schweizer Franken wieder neu erreicht werden. Es ist wahrscheinlich, dass die Neigung zur Überbewertung des Schweizer Franken durch die interessierte Finanzwirtschaft, die mehr und mehr die gesamte Wirtschaft und die Politik bestimmt, gefördert wird. Die Schweiz würde zusehends Singapur oder Monaco ähnlicher, mit einer Konzentration gut bezahlter Aktivitäten in urbanen Zentren und einem vernachlässigten ländlichen Raum. Die Rivalität zwischen den Vertretern der Realwirtschaft und denen der Finanzwirtschaft würde weiter genährt und Politik und Gesellschaft destabilisiert. Kurz gesagt, ein überbewerteter Schweizer Franken allein im europäischen Markt wäre zerstörerisch für den gesellschaftlichen Ausgleich und den nationalen Zusammenhalt.

Um alle Wechselkursprobleme auszuschalten, den Anliegen der EU angemessen zu entsprechen und den Interessen des Nahrungsmittelsektors zu genügen, wäre ein Vollbeitritt mit Übernahme des Euro die beste Lösung. Aber wie Hugo Loetscher schrieb: „ Wenn der Liebe Gott Schweizer gewesen wäre, würde er heute noch auf den richtigen Moment warten, um die Welt zu erschaffen.“ So werden im Land der Kompromisse und der kleinen Schritte mit grosser Wahrscheinlichkeit Zwischenetappen nötig sein.

Wenn wir trotz ihrer Unvereinbarkeit vorübergehend oder sogar längerfristig mit Freihandel und Schweizer Franken leben müssen, stellt sich die Frage wie die negativen Auswirkungen aufgefangen werden können. Seit einigen Monaten diskutieren Unternehmer, Politiker und Ökonomen eine Palette von Lösungsansätzen: Deckung von Wechselkursrisiken durch die Banken, Negativzinsen auf ausländischen Kapitaldepots, Steuern auf Finanztransaktionen, feste Bindung des Schweizer Franken an den Euro.

Als Beispiel für die Landwirtschaft kann die im gemeinsamen Markt von der EU lange praktizierte „grüne Währung“ herangezogen werden. Von 1973 bis zur Einführung der Einheitswährung im Jahre 1999, wurden die Preise landwirtschaftlicher Produkte für alle Länder der EU, die alle noch ihre eigene Währung hatten, in ECU festgelegt. Die Währungen der einzelnen Länder konnten stark schwanken. Das führte zu substantiellen Preissenkungen, respektive Preiserhöhungen je nachdem, ob in einem Land auf- oder abgewertet wurde. Um diese Ausschläge auszugleichen, hat der Ministerrat jährlich spezielle Wechselkurse für internationale Geschäfte im Zusammenhang mit der gemeinsamen Agrarpolitik festgelegt. Die Differenzen zwischen den „grünen“ und den allgemeinen Wechselkursen berechtigten den Bezug von Ausgleichszahlungen. Diese Währungsausgleichbeträge entsprachen Exportsubventionen für Länder mit einer starken (z.B. Deutschland) resp. Exportabschöpfungen für Länder mit schwachen Währungen.

Die GOAP fordert, dass die Einführung eines ähnlichen oder gleichwertigen Mechanismus in den Massnahmenkatalog der Begleitmassnahmen im Zusammenhang mit der Einführung des Freihandels im Agrar- und Lebensmittelbereich mit der EU aufgenommen wird.

Wir können uns auf eine unbestrittene Autorität in dieser Frage, auf Jean Claude Trichet, Präsident der europäischen Zentralbank, berufen. 1993, damals Schatzmeister im französischen Finanzministerium, schrieb er: „Man kann lange alle Zölle und nicht tarifären Handelshemmnisse abbauen, wenn grosse Währungsunterschiede im betrachteten wirtschaftlichen Raum überhand nehmen, wird die Verwirklichung des gemeinsamen Marktes durch diese immateriellen Handelshemmnisse wieder in Frage gestellt.“



Jacques Janin, Le Mont, 10.1.2011

Übersetzt von Hans Burger

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