2006-03-14

Handeln statt Jammern !

Persönlich bin ich der Auffassung, dass die Stossrichtung unserer Agrarpolitik mit den bishe-rigen Reformschritten grundsätzlich richtig ist. Eine echte Alternative konnte jedenfalls noch von niemandem aufgezeigt werden. Auf unseren Betrieben, aber auch in den vor- und nach-gelagerten Branchen wurden gewaltige Anstrengungen unternommen, um durch Steigerung der Produktivität die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Ernüchtert müssen wir heute aber feststellen, dass wir trotz allem Marktanteile verlieren, dass die laufend erbrachten Anpas-sungsleistungen nicht zum Tragen kommen, dass uns Perspektiven fehlen. Konsequenz: Handlen statt Jammern ist angesagt, die Anklagebank, die Schwarz-Peter-Position verlassen und in die Offensive gehen.

Es ist zum heutigen Zeitpunkt noch nicht möglich, die Auswirkungen eines liberalisierten Milchmarktes differenziert zu beurteilen. Sie sind unvoreingenommen zu prüfen, wenn Ver-handlungsresultate vorliegen. Hier und jetzt geht es mir um grundsätzliche Überlegungen.Tatsache ist aber: Die positiven Erfahrungen mit dem EU-Käse-Abkommen (sinkende Lager, steigende Preise) sind Anlass genug, den Ausbau des bestehenden Agrarvertrages mit der EU zu einem Freihandelsabkommen für den gesamten Nahrungsmittelsektor ernsthaft und rasch ins Auge zu fassen.

Ich bin überzeugt, dass der gegenseitige Marktzutritt mit entsprechenden Begleitmassnah-men ein gangbarer Weg ist. Unter solchen Begleitmassnahmen verstehe ich Übergangszah-lungen, die bis zum definitiven Abbau der WTO-bedingten Exportsubventionen im Jahr 2013 helfen würden, die heutigen Marktanteile nicht nur zu halten, sondern neue zu erwirtschaf-ten. Unsere Nahrungsmittelindustrie, insbesondere diejenige der ersten Verarbeitungsstufe, wie beispielsweise die Hochdorf Nutritec AG oder die Emmi-Gruppe wäre nicht mehr durch zu teure Rohstoffpreise benachteiligt und könnten ihre unbestrittenen Chancen auf dem eu-ropäischen Markt weiter verbessern. Es geht mir darum, alles zu tun, damit unsere Nah-rungsmittelindustrie sich nicht veranlasst sieht, ihre Rohstoffe vermehrt im Ausland beschaf-fen oder sogar die Produktion dorthin verlagern zu müssen.

Der Bundesrat wird nicht darum herum kommen, demnächst einmal zu sagen,wohin eigent-lich die Reise gehen soll. Die schrittweise Information ist keine Grundlage, die Weichen für die eigene Situation langfristig richtig zu stellen. Dabei ist eines schon heute sicher, dass sich das Graswirtschaftsland Schweiz vorab auf die bestehenden Stärken im Milch- und Fleischbereich wird konzentrieren müssen, wenn nicht die Landwirtschaft als Ganzes aufs Spiel gesetzt werden soll.

Die neue Agrarpolitik darf von uns nicht weiter nur Opfer verlangen, sondern sie muss einer produzierenden Landwirtschaft im Verbund mit vor- und nachgelagerten Branchen rasch rea-listische Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen. Daher bin ich der Meinung, dass eine solche Öffnung nicht über eine lange Dauer, sondern möglichst bald und in einem einzigen Schritt zu vollziehen wäre. Dieser rasche Wandel und der damit verbundene Einnahmensausfall wä-ren bis 2013 durch Strukturanpassungszahlungen auszugleichen. Diese Anpassungshilfen während rund fünf Jahren nach Inkrafttreten des Freihandelabkommens in der Grössenord-nung von mindestens CHF 1.5 Milliarden (Rahmenkredit) müssten unabhängig vom beste-henden Direktzahlungssystem ausgerichtet werden. Mit Sicherheit fände dieses Konzept auch finanzpolitisch Akzeptanz weil die Auswirkungen der WTO-Verträge aus eigener Kraft besser aufgefangen werden könnten.

Ich bin überzeugt, dass diese bäuerliche Offensive von der übrigen Bevölkerung und auch von der übrigen Wirtschaft mitgetragen wird. Nicht zuletzt kann eine unternehmerisch han-delnde und professionell produzierende Landwirtschaft wieder Sympathie und Vertrauen zu-rückgewinnen.


Joseph Leu, Nationalrat, Ing. Agr. HTL

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