2006-03-22

«Beide Szenarien sind eine grosse Herausforderung»


Interview: Hans Burger, Gruppe für eine offensive Agrarpolitik GOAP (Stephan Jaun-Pfander)





Schweizer Bauer: Der freie Agrarhandel mit der EU käme die Schweizer Landwirtschaft nach Modellrechnungen des Bundesamtes für Landwirtschaft und des Schweizerischen Bauernverbandes teuerer zu stehen als die WTO-Doha-Runde. Wo sehen Sie da eine Chance?


Hans Burger: Erstens muss man diese Zahlen relativieren und die Annahmen die diesen Berechnungen zu Grunde liegen nicht aus den Augen verlieren. Die BLW – Berechnungen berücksichtigen weder den Nahrungsmitteltourismus noch die Möglichkeit Marktanteile zu gewinnen. Zweitens hat das Agrarabkommen den wesentlichen Vorteil, dass die gesamte Produktionskette, also auch vor- und nachgelagerte Bereiche, liberalisiert werden. Die Chancen gegenüber dem WTO – Szenario, mit dem die Preise sinken und Marktanteile verloren gehen werden wegen dem Wegfall von Exportsubventionen (Schoggigesetz) besteht darin, dass wir nicht nur für Käse, sondern auch bei andern Produkten mit hoher Wertschöpfung Absatzmöglichkeiten auf dem europäischen Markt eröffnen. Deshalb sprechen wir von Perspektiven. Die haben wir nicht mit der WTO und auch nicht oder in viel geringerem Ausmass mit jedem andern bilateralen Freihandelsabkommen das noch auf uns zukommen wird.

Warum zweifeln Sie an den Zahlen?


Ich zweifle nicht an den Zahlen, sie sind als Diskussionsbasis wertvoll, man muss ihnen nur den richtigen Stellenwert geben. Man sollte berücksichtigen, dass z.B. durch die Verbesserung des Verkaufserlöses (Menge und/oder Preis) und der gleichzeitigen Reduktion der Produktionskosten (auch hier Menge und/oder Preis) um 5 Prozent das sektorale Einkommen um über einen Drittel erhöht wird. Ein anderes Berechnungsmodel ist rein statisch und hat mit der zu erwartenden Entwicklung noch viel weniger zu tun.

Wie würde sich der freie Agrarhandel auf die vor- und nachgelagerten Betriebe auswirken?


Alle Produktions- und Lebensmittel könnten zu europäischen Bedingungen in die Schweiz ein- und ausgeführt werden. Nun können Sie sich selbst vorstellen, welche Auswirkungen das auf den gesamten Ernährungssektor hätte. Der Druck zur Wettbewerbsverbesserung wäre damit nicht nur der Landwirtschaft vorbehalten, sondern würde die ganze Produktionskette, inklusive vor- und nachgelagerte Bereiche, betreffen. Die Konkurrenzfähigkeit der gesamten Lebensmittelindustrie würde gestärkt. Dies ist wichtig, wenn wir auch in Zukunft landwirtschaftliche Rohstoffe produzieren wollen. Hinzu kommt, dass die reale Kaufkraft der Haushalte erhöht würde. Was wiederum einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen bringt und damit die Finanzierung der Agrarpolitik erleichtert.

Sie sind ein alter Fuchs in der Agrarpolitik. Welche politische Chance hat Ihre Idee?


Es ist nicht meine "Idee", sondern eine "Idee" die von vielen Landwirten und im Ernährungssektor Tätigen in meinem persönlichen Umfeld getragen wird. Wir vertreten nur einen Wechsel zu einer offensiveren Haltung indem man sich nicht gegen unausweichliche Entwicklungen langfristig erfolglos wehrt, sondern die Kräfte braucht die unumgänglichen strukturellen Anpassungen wirkungsvoll zu begleiten. Denn auch am Markt zahlt sich zu spät zu kommen nicht aus. Die "Idee" muss jetzt diskutiert werden. Ich hoffe sehr für alle Jene, die auch in zehn Jahren noch von der Produktion und Verarbeitung von Nahrungsmitteln bei uns leben möchten, dass sie ihren Weg macht und möglichst rasch umgesetzt wird.

Wie schätzen Sie die Bereitschaft der EU ein, mit der Schweiz über einen freien Agrarmarkt zu verhandeln?


Ich bin nicht kompetent um mich dazu zu äussern. Ich weiss nur, dass zur Zeit der Agrarverhandlungen im Rahmen der ersten Bilateralen Verträge wir immer "bremsen" mussten, weil die EU viel weiter gehen wollte. Die Schweiz hat sich damals, auf Verlangen der EU, mit der sogenannten Evolutivklausel verpflichtet, im Gleichschritt mit den kommenden Reformschritten der AP, Verhandlungen über gegenseitigen freien Marktzutritt zu führen.

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