2011-03-31

Evolutivklausel - eine Alternative zum FHAL?

Der Schweizerische Bauernverband (SBV) ist gegen ein Freihandelsabkommen im Agrar-, Lebensmittel- und Gesundheitsbereich mit der EU (FHAL) und stellt nun als Alternative die „Aktivierung“ der Evolutivklausel zur Diskussion. Er ist der Meinung, dass nebst der bereits erfolgten Öffnung des Käsemarktes auch „gewisse andere Sektoren“ erfolgreich schrittweise liberalisiert werden könnten. Dieser Weg scheint uns nicht erfolgsversprechend. Er dürfte praktisch nur sehr schwer umsetzbar sein, die EU kaum interessieren und wenig zur dringenden notwendigen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit entlang der ganzen Wertschöpfungskette beitragen.

Evolutivklausel – Weiterentwicklung des Agrarabkommens 1999

Auf Grund der Evolutivklausel , Artikel 13 des Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Agrarabkommen 1999), verpflichten sich die Schweiz und die EU ihre Bemühungen zur schrittweisen Liberalisierung des Handels mit Agrargütern fortzusetzen. Sie ist seit dem 1. Juni 2002 in Kraft. In einem gemischten Ausschuss werden Anträge der Verhandlungspartner aufgenommen und Lösungsvorschläge erarbeitet. Er kann sich auf die Ergebnisse der Tätigkeiten von zehn, nach Produktionsbereichen gegliederten Arbeitsgruppen stützen. Bis heute konnten vor allem nicht tarifäre Handelshemmnisse in den Bereichen Saatgut und Pflanzenschutz, Weinimporte aus der Schweiz, Rindviehexporte aus der Schweiz, biologische Produktion, Erzeugnisse für die Tierernährung sowie Wurstwaren und Fleischprodukte abgebaut werden. Besonders wichtig für die Umsetzung einer schweizerischen Qualitätsstrategie ist die Ergänzung des Agrarabkommens über die gegenseitige Anerkennung der geschützten Ursprungsbezeichnungen (GUB) und der geschützten geografischen Angaben (AOC).

Im Unterschied zum FHAL, das eine einmalige Liberalisierung der gesamten Wertschöpfungskette umfasst, also auch die vor- und nachgelagerten Bereiche mit einbezieht, sieht die Evolutivklausel ein schrittweises, produktebezogenes Vorgehen vor und lässt offen, wie weit die Liberalisierung weitergeführt werden soll. Theoretisch könnte über die Evolutivklausel die gleiche gegenseitige Marktöffnung wie mit dem FHAL erreicht werden.

Die Evolutivklausel hat sich bis heute bewährt. Sie half mit, das bestehende Agrarabkommen mit laufenden Verbesserungen und Anpassungen sinnvoll umzusetzen und insbesondere technische Handelshemmnisse kontinuierlich abzubauen. Dagegen kann im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung unserer Agrarpolitik die Evolutivklausel keine Alternative zum FHAL sein. Dies aus folgenden Gründen:

- Starke Verflechtung der Produktionsbereiche

Bei der vom SBV vorgeschlagenen Liberalisierung „gewisser Sektoren“ müssten nicht nur technische Handelshemmnisse, sondern auch tarifäre abgebaut werden. Die starke gegenseitige Abhängigkeit der verschiedenen Produktionsbereiche lässt jedoch ein Herauslösen „gewisser Sektoren“ praktisch nicht zu. Die dadurch entstehenden Marktverzerrungen müssten durch einen umfangreichen staatlichen Interventionismus ausgeglichen werden, der nicht einmal vom SBV begrüsst werden dürfte. So wäre zum Beispiel die Öffnung des Fleischmarktes oder gar nur von Teilen davon, ohne gleichzeitig die Futtermittel ebenfalls zu liberalisieren, praktisch nicht durchführbar. Die Verflechtung von Brot- und Futtergetreide wiederum lässt die einseitige Öffnung des Futtermittelmarktes nicht zu. Analoge Überlegungen gelten für die Eier- und Geflügelproduktion. Paritäten zwischen den Ackerkulturen müssten wieder staatlich hergestellt werden. Auf Produkte resp. auf Produktionsbereiche bezogene Liberalisierungen würden unabwendbar zu unlösbaren Marktverzerrungen führen. Dieser Ansatz scheint in hohem Masse wirklichkeitsfremd.

- Zum Verhandeln braucht es mindestens zwei Partner

Wer die Entwicklung unserer Beziehung zur EU mitverfolgt, wird sich kaum vorstellen können, dass sie bereit ist über produktebezogene Weiterentwicklungen des Agrarabkommens zu verhandeln. In Anbetracht der Sensibilitäten der „Mittelmeerländer“ der EU muss sogar bezweifelt werden, ob sie bereit wäre im Rahmen eines FHAL Sektoren wie den Gemüse- oder Obstbau aus dem Abkommen auszunehmen. Beides Sektoren, die unter dem Gesichtspunkt der Verflechtung nicht in ein FHAL miteingeschlossen werden müssten.

- Kostensenkungspotential nicht ausgeschöpft

Das Kostenniveau wird in der Schweiz auf absehbare Zeit immer ein sehr hohes bleiben, dies sogar bei einem Vollbeitritt zur EU. Nur eine ganzheitliche Liberalisierung der gesamten Wertschöpfungskette erlaubt die höchst möglichen Kostensenkungen bei den Produktionsmitteln. Durch die Öffnung „gewisser Sektoren“ kann das an und für sich schon relativ bescheidene Kostensenkungspotential, das das FHAL bieten würde, nicht ausgenützt werden.

- Vor- und nachgelagerte Bereiche nicht einbezogen

Die landwirtschaftliche Produktion ist auf gute Strukturen in den vor- und nachgelagerten Bereichen angewiesen. Besonders auf eine wettbewerbsfähige Verarbeitungsindustrie. Diese braucht nicht nur Rohstoffe zu konkurrenzfähigen Preisen sondern auch Zutritt zum europäischen Markt, um Skaleneffekte in der Produktion voll ausnützen zu können. Mit einem selektiven Öffnen „gewisser Sektoren“ wird die Verarbeitung in der Schweiz nicht konkurrenzfähiger. Vermehrter Import von landwirtschaftlichen Rohstoffen (Veredlungsverkehr) oder gar die Auslagerung von Produktionsstätten ins Ausland wären die Folgen. Und damit, im Gegensatz zum ganzheitlichen Ansatz des FHAL, die Schwächung der landwirtschaftlichen Produktion.

Mit einem Selbstversorgungsgrad von um die 60 Prozent ist die Schweiz sicher kein Agrarexportland. Es geht deshalb nicht darum die Produktion zu steigern, um Nahrungsmittel zu exportieren. Vielmehr geht es darum, die kaum vermeidbaren, zunehmenden Importe an Nahrungsmittel mengen- und besonders wertmässig durch Exporte von verarbeiteten Produkten zu kompensieren.

Die selektive Öffnung „gewisser Sektoren“ hilft hier wenig. Was wir brauchen ist der ganzheitlichen Ansatz des FHAL’s. Wir brauchen wettbewerbsfähige Verarbeitungsbetriebe, die schweizerische Rohstoffe veredeln und allenfalls auch auf dem ausländischen Markt absetzen können. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um auch bei nachhaltiger landwirtschaftlicher Bewirtschaftung den Selbstversorgungsgrad zu halten. Dies selbstverständlich in der heutigen Zeit, wie in andern Bereichen auch, unter Berücksichtigung einer sinnvollen Arbeitsteilung im europäischen Raum.

Hans Burger, 31.3.2011

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